Wir sehen uns dort oben by Lemaitre Pierre

Wir sehen uns dort oben by Lemaitre Pierre

Autor:Lemaitre, Pierre [Lemaitre, Pierre]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Gegenwartsliteratur, Belletristik
ISBN: 9783608980165
Google: BdPloAEACAAJ
Herausgeber: Klett-Cotta Verlag
veröffentlicht: 2014-11-30T00:00:00+00:00


21

Es war noch nicht einmal sieben Uhr und saukalt. Obwohl es seit Januar keinen Frost mehr gegeben hatte – zum Glück: Man hätte sonst mit der Spitzhacke hantieren müssen, was strengstens verboten war. Es wehte jedoch ständig ein eisiger, feuchter Wind. Wie gut, dass der Krieg vorbei war, so konnte man einen Winter wie diesen wieder verkraften.

Henri wollte sich nicht die Beine in den Bauch stehen, daher blieb er lieber im Auto. Wobei es nicht wirklich besser war in diesem Wagen, entweder es war einem oben herum warm oder unten herum, aber nie überall zugleich. Momentan ärgerte sich Henri außerdem sowieso über alles, nichts lief glatt. So wie er sich in seine Geschäfte hineinkniete, hätte er doch ein Recht darauf gehabt, in Frieden gelassen zu werden, oder etwa nicht? Aber davon konnte keine Rede sein, immer mussten neue Hindernisse auftauchen, immer gab es einen unvorhergesehenen Zwischenfall, überall musste er gleichzeitig sein. Da war es einfacher, wenn er gleich alles selbst machte. Denn wenn er Dupré nicht permanent hinterherlief …

Das war natürlich nicht ganz gerecht, Henri wusste das. Dupré mühte sich ab, er war fleißig und mit vollem Eifer dabei. Man müsste mal ausrechnen, was dieser Typ einbringt, das würde mich vielleicht beruhigen, dachte Henri, doch es half nichts, er war wütend auf alle und jeden.

Daran war auch die Müdigkeit schuld, in aller Herrgottsfrühe hatte er aufstehen müssen, außerdem raubte ihm diese kleine Jüdin echt Energie. Gott allein wusste, dass er keine Juden mochte – bei den d’Aulnay-Pradelles war man seit ewigen Zeiten alles andere als Dreyfus-Anhänger –, aber ihre Töchter, wirklich wahr, was für göttliche Schlampen, wenn sie erst einmal in Fahrt waren!

Nervös hüllte er sich fester in seinen Mantel ein und sah, wie Dupré an der Tür der Präfektur klopfte.

Der Pförtner hatte sich gerade fertig umgezogen. Dupré setzte ihn ins Bild, zeigte auf den Wagen, der Pförtner lehnte sich hinaus, wobei er eine Hand zum Visier führte, als blickte er gegen die Sonne. Er war bereits auf dem Laufenden. So eine Information brauchte keine Stunde, um vom Militärfriedhof bis zur Präfektur zu gelangen. In den Bürozimmern gingen nach und nach die Lichter an, dann öffnete sich erneut die Autotür, Pradelle stieg aus seinem Hispano, ging schnell durch das Portal, am Pförtner vorbei, der ihm den Weg zeigen wollte, aber Pradelle machte nur eine unwirsche Handbewegung, ich weiß schon, ich kenne mich hier aus wie in meiner eigenen Westentasche.

Dem Präfekten gefiel das Ganze gar nicht. Gaston Plerzec. Seit vierzig Jahren musste er aller Welt erklären, dass er kein Bretone war. Er hatte die Nacht über nicht geschlafen. Stundenlang hatte er hin und her überlegt, und am Ende hatten sich die Soldatenleichen mit Chinesen vermischt, die Särge begannen, sich von selbst zu bewegen, einige von ihnen setzten sogar ein hämisches Grinsen auf. Er nahm eine vorteilhafte Haltung ein, sodass die Wichtigkeit seiner Funktion deutlicher zum Tragen kam: vor dem Kamin, eine Hand auf dem Sims, die andere in der Innentasche seiner Jacke, das Kinn nach oben gereckt. Das Kinn war für einen Präfekten von entscheidender Bedeutung.



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